Die Frage nach den Zwecken in der Natur

 

 

von Prof. Dr. Hans-Dieter Mutschler

In einer traditionellen Naturauffassung – so etwa bei Thomas von Aquin – war alles sinnvoll, d.h. zweckmässig, geordnet. Al­les hatte sein Gut, sein Ziel und seinen Zweck. 

 

Diese Selbstverständlichkeit einer teleologisch geordneten Na­tur zerbrach in der Neuzeit, beginnend mit Galilei, der ein de­zidierter anti-Aristoteliker war, sie setzte sich mit Darwin fort und sie erreichte einen Höhepunkt mit der Soziobiologie und der Neurowissenschaft, wonach auch der Mensch hinreichend mit Hilfe von Wirkursachen verstanden werden kann. Nun war die Natur ‘entzaubert’, wie man das seit Max Weber genannt hat.

 

Der entscheidende Punkt ist allerdings die Frage nach der Hand­lungskompetenz des Men­schen. Nach reduktionistischer Auf­fassung müsste unsere Fähig­keit, Ziele frei zu wählen, zu rechtfertigen und die entspre­chenden Mittel herauszufinden nichts sein, als eine einzige Illusion. Das aber hiesse, dass auch unser gesamtes soziales Dasein eine gigantische Illusion sein müsste, was völlig unglaubwürdig ist.

 

Aber wenn der Mensch ein teleologischer Agent ist, warum die anderen Lebewesen dann nicht? Daher haben Philosophen wie Hans Jonas, Robert Spae­mann und Thomas Nagel Naturteleologie aus der nichtreduk­tio­ni­stisch verstandenen Verwurzelung Men­schen in der Natur abgeleitet. Bei nä­herem Zusehen zeigt sich auf Schritt und Tritt, dass die kom­plette ‘Entzauberung der Welt’ eine gigantische Selbst­täu­schung ist. Dasselbe gilt aber auch für den zweckhaften Aufbauder Lebe­wesen. Wir deuten nämlich oft den konstruktiven Aufbau solcher Lebe­we­sen im Licht tech­ni­scher Artefakte, so in der Kybernetik, Bioinformatik oder Bionik und damit haben wir sie teleologi­siert.

 

Unabhängig davon haben Analytische Philosophen zeigen können, dass die funktionale Sprache der Biologie nicht auf die reiner Wirkursächlichkeit zurückgeführt werden kann. Es gibt also kei­ne guten Gründe, auf Naturfinalität zu ver­zich­ten.[1]

 

[1] Ich habe diese Skizze näher ausgeführt in: Mutschler, Hans-Dieter (2002): Naturphilosophie. Kohlhammer, Stuttgart, 205 S.